Hartnäckig hält sich im Internet die Behauptung, dass sich abgestürzte oder umgefallene Rennschnecken aus der Familie der Neritidae nicht mehr umdrehen können, wenn sie auf dem Häuschen zu liegen kommen, weil ihr Fuß zu kurz sei, um dies selbst zu bewerkstelligen. Diese Tiere seien praktisch unweigerlich zum Tod verurteilt, wenn man sie im Aquarium nicht überwacht und gegebenenfalls von Hand umdreht.
1 Beobachtungen im Aquarium
Diese Theorie des zu kurzen Fußes beruht auf tatsächlichen Beobachtungen im Aquarium, nach denen viele umgefallene Rennschnecken nicht mehr auf den Fuß kommen, sondern in Rückenlage auf dem Boden liegen bleiben und dann irgendwann verenden.
Die Mär geht, dass sie ertrinken, wobei man dies getrost ins Reich der Legenden verweisen kann - Rennschnecken aus den Gattungen Neritina und Vittina sind ebenso wie Geweihschnecken (Clithon spp.) Kiemenschnecken, ertrinken ist ihnen physiologisch gesehen also gar nicht möglich. Verhungern oder der Schwächetod sind bei aufs Haus gefallenen Rennschnecken eher plausibel.
Gegen die Theorie sprechen allerdings Beobachtungen, nach denen sich gesunde, fitte Rennschnecken und andere Neritiden wie zum Beispiel Anthrazith-Napfschnecken oder Geweihschnecken der Gattung Clithon sehr wohl im Aquarium umdrehen können, wie das nachfolgende Video einer Rennschnecke beweist - es wirkt mühsam und langwierig, aber sie sind anatomisch dazu definitiv in der Lage. Am längsten brauchen die Schnecken dabei, sich vom "Rücken" auf die Seite zu drehen. Das Video zeigt lediglich die letzten Minuten des Umdrehvorgangs.
2 Was stimmt denn nun?
Da sich Rennschnecken im Aquarium nachweislich grundsätzlich umdrehen können, wenn sie auf ihr Haus gefallen sind, muss es für die umgefallenen verendeten Rennschnecken einen anderen Grund als den angeblich zu kurzen Fuß geben.
2.1 Warum sich manche Rennschnecken nicht drehen können
Dazu müssen wir uns kurz anschauen, wie Rennschnecken, Anthrazith-Napfschnecken (aka Stahlhelmschnecken) und Geweihschnecken in die Aquaristik gelangen. Eine Nachzucht im Süßwasser ist nicht möglich, weil Nixenschnecken (Neritidae) Eikokons legen, aus denen Veliger-Larven schlüpfen. In der Natur werden die Veliger mit der Strömung ins Meer getragen, wo sie sich zu Schnecken entwickeln, die dann wieder flussaufwärts wandern. Rennschnecken und Co. sind also immer Wildfänge!
Als Aufwuchsfresser sind die Neritiden beim Futter zudem vor allem anfangs sehr mäkelig. Weder die Sammelmethode noch die Zwischenhälterung und der Versand sind sonderlich schonend, deshalb kommen viele Rennschnecken, Napfschnecken und Geweihschnecken stark geschwächt und halb verhungert in die Aquaristik-Läden. Dass diese Aquarienschnecken zum einen von der Scheibe abfallen (allein das ist bereits ein Alarmzeichen, eine gesunde Rennschnecke fällt nicht einfach ab) und zum anderen nicht mehr herumkommen, wenn sie auf dem Haus gelandet sind, ist selbsterklärend. Ihnen fehlt dazu schlicht die Kraft.
3 Soforthilfe und langfristige Vorbeugung
Halb verhungerte, kranke oder auch sehr alte Rennschnecken sind also aufgrund von Schwäche nicht mehr fähig, sich umzudrehen, wenn sie auf ihr Haus gefallen sind. Auf feinem Sand tun sich auch gesunde Neriditen schwer mit der Drehung, weil ihnen in feinem Sand das Widerlager fehlt. Diese Tiere brauchen definitiv Hilfe! Sie müssen wieder auf den Fuß gestellt oder, wenn sie sich eingezogen haben, mit der Gehäuseöffnung nach unten auf einen festen Untergrund gelegt werden. Dies ist jedoch lediglich eine Soforthilfe.
Auf lange Sicht muss man als verantwortungsvoller Schneckenbesitzer dafür sorgen, dass die Aquarienschnecken wieder fit werden, sodass sich die Rennschnecken selbst umdrehen können, ohne in Lebensgefahr zu geraten.
Wie man den Futterzustand einer Neritide zuverlässig erkennen und beurteilen kann, erklären wir im Artikel "Ernährungszustand von Aufwuchs fressenden Wasserschnecken erkennen". Was Rennschnecken eigentlich fressen, behandeln wir im Artikel "Was fressen Rennschnecken?", und viele bewährte Tipps, wie man Neritiden im Aquarium wieder proper und rund bekommt, findet ihr im Beitrag "Aufwuchsfresser richtig füttern".
Autor(en)
Ulli Bauer
Fotos: Garnelenhaus, Video: Melanie Manche